Einführung in die Ausstellung
Claudia Larcher im Kunstraum Helmut Hirte, Aschaffenburg, 7. Mai 2010
Schüttel
von Dorothee Baer-Bogenschütz
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Claudia Larcher ist eine Meisterin der dinglichen Verunsicherung.
Das Faktische sowie die fiktionale Erweiterung ins Fantastische sind ihr Terrain.
Dabei zerpflückt sie Standards. Was ist Kunst, was nicht? Was kann ein Kunstwerk werden? Fundstücke ebenso wie Kindheitserinnerungen. Ihre Bildsprache erlaubt den Zugriff in jedem Fall.
Man kann Larchers Arbeiten verstörend finden - oder schön: etwa nach den Kriterien des französischen Dichters Lautréamont, der mit seiner sprachlichen Unverblümtheit und existenziellen Dimension großen Einfluss hatte auf die Surrealisten.
Und einen Jüngling schön fand wie die zufällige Begegnung zwischen einem Regenschirm und einer Nähmaschine auf einem Seziertisch. Dieser eigenwillige Vergleich wurde zum berühmten Schlüsselsatz für die Praxis der Surrealisten, die Doppeldeutigkeit und Hintergründigkeit der Dingwelt zu betrachten und unvermutete, auch betont sonderbare Bezüge herzustellen.
Fantasievoll verfremdete Alltagsgegenstände wie die zum Pariser Surrealistenkreis zählende Malerin, Objektkünstlerin und Arzttochter Meret Oppenheim sie schuf, sind auch ein Teil der Kreativwelt von Claudia Larcher. Oppenheim setzte das Eichhörnchen in die Welt, jenes Trinkglas mit buschigem Schwanz, das eine Ikone wurde.
Larchers Arbeiten nenne ich Hybridobjekte dort, wo sie Sphären verknüpft, die nichts miteinander zu tun haben, Korrespondenzen schafft oder unerwartete Begegnungen einleitet wie es die Surrealisten taten.
Jene stellten die traditionelle Formensprache und spezifische Zweckgebundenheit von Gegenständen in Frage und die Dinge in einen ungewohnten, teils bemerkenswert bizarr erscheinenden neuen Zusammenhang. So auch Larcher, die übrigens auch selbst zur Nähmaschine greift - um damit zu zeichnen.
Prinzipiell kann bei ihr jedes Ding Kunst werden. Dabei geht es auch um gesteigerte Erlebnisfähigkeit. So überführt Larcher etwa Spielautomaten in den Kunstkontext, setzt in einer Luftballon-Intervention Hunderte von Luftballons den Luftströmungen an einer felsigen Küste aus.
Für die ACEton-Ausstellung rollte sie gestern den "roten Teppich" aus. Die auch durch Multimedia-Werke und Videoanimation hervorgetretene und als Medienkünstlerin bezeichnete Wienerin versteht ihre Arbeit oft szenisch.
Sie spricht daher von einer „wiederaufgeführten Arbeit“. Ursprünglich hatte sie den "roten Teppich" für die Filmfestspiele Venedig konzipiert.
Eine “Ästhetik der Ambivalenz” wurde Larcher attestiert, “der Unterscheidbarkeit zwischen Realien und irrealen Verdichtungen”.
„Wahrheit liegt immer deutlicher nicht mehr in der Objektwelt an sich, sondern in der Wirkungsweise ihrer Erscheinung - ihre Kontrolle in den Konventionen unserer Wahrnehmung”, so heißt es in einem Text über Larchers künstlerisches Universum. Zu ihren Arbeiten zwischen Poesie und Post-Pop zählt etwa auch die “Motteninvasion” - eine raumspezifische Installation. Die Zeichnung des Mottenkörpers wurde mit einem Lötkolben erzeugt, der das Fressverhalten des Insekts verdeutlicht.
Tierisch auch das titelgebende Kunstwerk dieser Ausstellung.
“Schüttel”.
Der lakonische Titel bezieht sich auf das kinetische Objekt "Komondor" , vulgo: einen weißen sich schüttelnden Knäuel aus Wischmopps. Komondor ist der Name einer Hunderasse. Indem gewöhnliche Wischmopps - anscheinend ihrer Fransen wegen - zum ungarischen Hirtenhund mutieren, schlägt Larcher den Bogen zu Oppenheims Eichhörnchen. Auch für ihre Installationen und Objekte wird das Vertraute verfremdet.
“Idee der Arbeit”, sagt sie, “war es nicht, einen Hund darzustellen, vielmehr ging es mir um die Schüttelbewegung dieses Lebewesens - die Bewegung des Haarkleides- und die im Freezeframe resultierende Figur, die für mich viel mit Skulptur zu tun hat.
Larcher deckt die Metaebene von gewöhnlichen Gegenständen auf, entdeckt das Potential assoziativer Neukombination. Alltagsgegenstände können Skulptur werden ebenso wie Zeremonielle - das Laufen über den roten Teppich -, wobei Komik und Humor nicht auf der Strecke bleiben müssen. Mit ihren kinetischen Objekten, der Lebenswelt so eng verhaftet, ihr aber auch Schnippchen schlagend, ironisiert die Künstlerin darüber hinaus die funktionalistische Sicht auf das Kunstgeschehen und dessen gut geölte Motoren.
Unterdessen arbeitet sie regelmäßig im interdisziplinären Rahmen. Man begegnet ihren Arbeiten bei Filmtagen und Medienkunstveranstaltungen ebenso wie beim Kunstfest Weimar. Sie arbeitet in den Medien Fotografie, Film, Zeichnung und Collage.
Bildcollagen aus der Werkserie “Motionstudies" sehen Sie hier.
Dazu einige kleine Montagen. Es handelt sich um „Illustrationen von Tieren, von denen nur mehr das Fell übrig geblieben ist“.
Larcher erklärt ihren generellen Ansatz mit ihrem unbestechlichen Blick : “Meine Arbeit hat viel mit Recherche und Beobachtung zu tun. In meinen Videoarbeiten geht es um die Analyse und Dokumentation von Lebensräumen und Architekturlandschaften. Diese werden leicht verändert und/oder neu montiert.” Bei Bernhard Leitner begann sie ihr Studium. Sie erinnert sich, wie er “der Schärfung des Blickes verpflichtet” war. Hier erwarb sie ihr fundiertes Verständnis für medienübergreifende Disziplinen.
“Deshalb”, sagt sie, “kann ich mich nicht auf ein Medium festlegen, sondern bewege mich zwischen Videoanimation, Video-live-performance, Installation, Zeichnung und Fotografie.” Im Vordergrund stehe jedoch stets ihr aktuelles Thema, die jeweilige Disziplin ordne sie diesem unter.
Erwin Wurm schließlich war es, der Larcher zur Skulptur brachte. “Die Entstehung meiner Objekte schreibe ich dem Studium bei Erwin Wurm zu”, sagt sie.
Darin manifestiert sich die Freude über Beherrschung des Gegenstandes ebenso wie das Staunen über die Formenvielfalt, die künstlerisch fruchtbar werden kann unter Berücksichtigung von Typologie und Eigentümlichkeit.
Motivisch interessieren Larcher indes auch übergeordnete Zusammenhänge, etwa Heim und Hof, der erweiterte Heimat- und Nachbarschaftsbegriff. In Vorarlberg – wo sie herkommt und andere Urlaub machen - hält sie selbst es allerdings nicht länger als drei Tage aus, an diesem Zuhause arbeitet sie sich ab. Am kollektiven Druck der Provinz. An Widersprüchen und Doppelmoral der Scheinidylle.
Sie empfand schon ihre Kindheit partiell als Gruselfilm. Ihre Videoanimation „Heim“, eine Fotomontage, erinnert an Gregor Schneiders Haus Ur. Wie Schneider hat Larcher ihr Elternhaus zum Ort ihrer Recherche gemacht.
Die Einrichtung des Hauses lässt schließen auf die psychische Ausstattung der Bewohner, die Syntax der Möblierung wird mit psychologischem Interesse verhandelt. Man spürt: Da steckt etwas hinter den Möbeln, unter den Fliesen, in den Zwischenräumen der Vertäfelungen. Dieses Dazwischen fesselt Larcher. Die Risse in der Idylle, der ganz normale Wahnsinn. Sie betreibt digitalen Exorzismus. „Heim“ ist eine fiktive Kamerafahrt ins Unheimliche. Alptraumhaftes kommt ins Spiel. Schneider lässt Publikum ins Haus eintreten und vorstoßen in entlegene Winkel, Larcher dagegen nur die Kamera zu.
Sie tut, was in ihrer Videoanimation „Nachbarn“ die Menschen tun, die „Grünkeile“ ins parzellierte Vorarlberger Land treiben: Sie vermisst das Gelände im Hinblick auf ein übergeordnetes Anliegen.