Im Wohnzimmer der Moderne
von Philippe Batka
Portfolio Claudia Larcher
30 years of Eikon, #113, International Magazine for Photography and Media Art
In der Auseinandersetzung mit Claudia Larchers Arbeit lässt sich kaum der Frage ausweichen, wie sich Kunst und Architektur gegenüberstehen. Dabei geht es weniger darum, ob sich das Eine im Anderen darstellen lässt oder vice versa – insofern als sich die Werke der Künstlerin ihrem Gegenstand selten bloß abbildend nähern. Dies trifft zwar noch am ehesten auf Arakawa-ku zu, eine Serie von Fotomontagen aus 2012/2013. Doch die darin freigestellten Einfamilienhäuser aus Tokyo erfahren schon durch die Isolation von ihrem Kontext eine seltsame, beinahe wesenhafte Transformation. Bei Claudia Larcher ist vielmehr ein gewisses, nicht auf Repräsentation gerichtetes, Zutun am Werk, das selbst so etwas wie Räumlichkeit schafft. Ob physisch greifbar wie etwa in den immer wieder auftauchenden Papiercollagen in Guckkasten-Machart (etwa in Baumeister, ab 2012), sowie der begehbaren Installationen Mies (Teil einer seit 2016 fortlaufenden Werkserie) – oder aber auch inhaltlich: in Form von Fragen, Ansprüchen und Hoffnungen, die in enger Verbindung zur Architektur stehen und in diversen bildnerischen Medien wenn schon nicht beantwortet oder eingelöst, so zumindest neu formuliert werden wollen.
Es sind nicht irgendwelche Bauten, die Claudia Larcher fortwährend in ihren Bann ziehen. Fast ausschließlich handelt es sich um die Architektur der Moderne (oder Nachmoderne): das mal frische, mal abgenutzte und aufgeputzte stilistische Treibgut unserer Jetzt-Zeit, welches von der Künstlerin weiterverarbeitet wird. Aber was genau macht dieses Kapitel unserer noch jungen gebauten Vergangenheit zu einem für Larcher so ertragreichen Rohstoff? Wir wollen uns dazu fragen, ob die Moderne als Antike unserer Gegenwart verstanden werden kann – so wie es Roger M. Buergel als eines seiner Leitmotive für die documenta12 in den Raum gestellt hat.1 Wenn die Moderne ein durch die totalitären Katastrophen des vergangenen Jahrhunderts zertrümmertes und kompromittiertes Projekt ist, das uns gleichzeitig wegen seines allumfassenden Anspruchs fasziniert – so wie von ihm dargestellt –, dann mag dies vielleicht die gemischten Gefühle erklären, die sich in Nachbarschaft ihrer Entfaltungen einstellen, welche den Routen der Kolonialherren (und ihren vermeintlichen Rechtsnachfolgern) folgen, bis hinein in die verstreuesten Weltgegenden.2 Ihre Ästhetik, die einen systemtragenden Kompromiss verspricht, indem sie Klarheit, Funktionalität und Transparenz verlautbart, gilt heute landläufig als schön: Bildet sie nicht auch deshalb den wohnlichen Boden unserer gegenwärtigen Klassik? Jedenfalls hat sie sich ihren Weg bis in die naheliegende kleinbürgerliche Stube gebannt. Und gerade, weil sich die architektonische Substanz der Moderne so entgegenkommend, handzahm und – übertragen auf Innenräume – anheimelnd gebärdet, dient sie Larcher als weißes Blatt, das ihre Interventionen, Verfremdungen oder sonstige ästhetische Angriffe so freudig aufsaugt wie Löschpapier. Ein neutraler Grund, eine frische Leinwand – aufgespannt zwischen Vertikalen und Horizontalen –, oder eben ein leerer Raum wie jene brachliegenden Interieurs, die die Künstlerin in ihrer Videoanimation Empty Rooms (2011) erzittern lässt. Bei Larcher macht sich darin bevorzugt das Unheimliche breit. Dabei wird augenscheinlich, wie wenig es braucht, um die Bedeutung von vier Wänden kippen. Wir können uns davon anhand von Heim (2018) vergewissern, eine Videoanimation, die das Interieur ihres Elternhauses mit schonungsloser Akkuratesse zeigt und von einer unbehaglichen Tonspur unterlegt wird. Eine beklemmende Transformation, die auch vor noch innigeren Behausungen keinen Halt macht: In Self (2012) fließen Close-ups unterschiedlicher Hautpartien ihres Körpers zu einem scheinbar unendlichen Kontinuum zusammen, das kein Innen und Außen mehr kennt.
Claudia Larchers dekonstruktivistische Ambitionen wären jedoch kaum so erfolgreich, würden sie sich an jenen Beispielen zeitgenössischer Architektur messen, die der eigenen Demontage ihren wesentlichen Ausdruck verdanken. In anderen Worten: Die Architektur hat offensichtlich bereits vollzogen, was Claudia Larcher in ihren Werken so häufig nachzeichnet: die Verflüssigung ihrer starren Raster (Collapse, 2018), die Sichtbarmachung und Auffächerung ihrer funktionalen Bestandteile (Baumeister, 2012 und Mies, 2016), oder den Erwerb von Zitat und Übertragung (Baumeister, 2012).3 Wenn Larcher jedoch wie in der Videoanimation Collapsing Mies (2019) Gebäude van der Rohes auseinandernimmt und ihre idiosynkratischen Elemente entlang neuer Symmetrieachsen spiegelt, bricht und zeitlich reorganisiert, geschieht etwas Wesentliches, das an die eingangs gestellte Frage zum Gegenüber von Kunst und Architektur andockt: Die Kontingenz, die in den zahlreichen Skizzen des Architekten schlummert – das mögliche Anderslautende, das mit der Ausführung der Entwürfe, Gedanken und Utopien in gebaute Strukturen und gefestigte Abläufe erlosch, steht mit dem Rahmen, den der dramaturgische Spannungsbogen des Films bereitstellt, plötzlich wieder im Raum.